Die Geschichte der tiergestützen Intervention ist keine sehr lange, aber auch keine sehr kurze!! Es gibt Hinweise, dass Tiere seit Jahrhunderten schon in verschiedenen Therapien eingesetzt wurden, um diese zu unterstützen. Diese Informationen sind mehr oder weniger detailliert. Zum Beispiel gibt es Indizien in den Schriftendes Xenophone (400 vor Christus), dass im alten Griechenland Pferde eingesetzt wurden, um Kranke zu heilen. Im 9. Jahrhundert schon wurden in Gheel in Belgien Tiere in Thearpien für Menschen mit Handicaps eingesetzt. Im 18. Jahrhundert hat der Quäker William Tuke in England Bauernhof-Tiere in die Psychatrie York Retreat eingebunden. Sein Ziel war es, bessere, menschenwürdigere Zustände in der Psychatrie zu gewährleisten und den Patienten das Recht zu geben, sich um die Tiere kümmern zu dürfen. (QuakersintheWorld) In Deutschland gab es in Bethel, Bielefeld die ersten dokumentierten tiergestützten Interventionen im 19. Jahrhundert in der Therapie für Epilepsie Patienten.
1962 hat der amerikanische Psychologe Boris Levinson herausgefunden, dass er durch die zufällige Anwesenheit seines Hundes das erste mal Zugang zu einem jugendlichen Patienten bekam. Er arbeitete weiter mit seinem Hund in seiner Praxis und veröffentlichte seine Erkenntnisse 1969 in seinem Buch : « Pet orientated child psychotherapy ».
Man kann also nicht sagen, dass es die tiergestützte Intervention wirklich neu ist, aber in den letzten 30 Jahren hat sich diese rasant weiterentwickelt und organisiert sich international, findet einen gemeinsamen Konsens und gemeinsame Qualitätskriterien. Es gibt Forschung und Weitergabe des erreichten Wissens auf diesem Gebiet. Nationale und internationale Organisationen arbeiten zusammen, um eine offizielle Anerkennung dieses Berufstandes zu erreichen.
Die IAHAIO (International Association of Human-Animal Interaction Organisations) wurde 1992 gegründet durch damals 12 Organisationen. Heute hat sie mehr als 90 Mitglieder. Siehe auch ESAAT und ISSAAT.
Die Mensch-Tier-Beziehung
Das besondere Merkmal der tiergestützten Pädagogik ist die Mensch-Tier-Beziehung, durch die sich die tiergestützte Pädagogik von der Pädagogik im klassischen Sinne unterscheidet. Es gibt viele Faktoren und Theorien, warum uns Menschen mit den Tieren so viel verbindet und warum sie eine so starke Wirkung auf uns Menschen haben. Dabei sind die Ansätze so unterschiedlich wie die Autoren und ihre Disziplinen selbst. Im folgenden werde ich auf einige, für das Gesamtverständnis dieser Arbeit wichtige Theorien eingehen. Sie erklären, warum tiergestützte Pädagogik wirksam ist.
Biophilie
Die Liebe zum Leben und zum Lebendigen nennt man Biophilie, ein Begriff der 1964 von Erich Fromm in seinem Buch „Die Seele des Menschen“ begründet und später von verschiedenen Autoren u.a. Edward O. Wilson in ihren eigenen Theorien ebenfalls aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Es entstanden Theorien, die auf unterschiedliche Weise erklären, warum die Natur, insbesondere die Tiere, eine so bewegende und starke Wirkung auf uns Menschen haben und beleuchten damit eingehend die Mensch-Tier-Beziehungen. Allen gemeinsam ist die Beschreibung, dass der Mensch sich von der Natur angezogen fühlt.
Wilson hat 1984 in seiner Biophilie Hypothese dargelegt, dass diese Affinität zur Natur und anderen Lebewesen im Laufe der Evolution entstanden ist und damit genetisch in uns verankert ist, weil wir während unserer gesamten Entstehungsgeschichte eng mit der Natur verbunden waren und uns 100%ig auf sie einstellen mussten, sonst hätten wir nicht in ihr überleben können. „Unsere gesamten Fähigkeiten, unsere Art auf äußere Einflüsse zu reagieren und unsere Gedankenwelt haben sich während unser eigenen Evolution auf Natur eingestellt, so dass sie uns fehlt, seitdem wir uns durch die Industrialisierung weiter und weiter von ihr entfernt haben.“ (Wohlfart, R., 2018, Südkurier)
Kellert erklärt die Biophilie, indem er die Hinwendung der Menschen zu Tieren, Pflanzen und allgemein der Natur in 9 verschiedene Perspektiven aufteilt und bietet damit ein sehr facettenreiches Erklärungsmodell an.
Für tiergestützte Interventionen ist die Biophilie von Wichtigkeit, weil dies bedeutet, dass die meisten Menschen sich natürlich von Tieren angezogen fühlen und ihre Gegenwart genießen. Entspannte Tiere helfen, die Menschen zu entspannen. Entspannt lernt es sich leichter.
Du-Evidenz
Ursprünglich wurde der Begriff Du-Evidenz 1922 von Karl Bühler benutzt für die Fähigkeit der Menschen, andere Menschen als Individuen zu erkennen und zu respektieren.
Später wurde dieser Begriff auch auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragen.
Die Du-Evidenz beschreibt demnach heute auch die Tatsache, dass Menschen mit Tieren Beziehungen eingehen können, wie sie es mit Menschen können. Und anders herum können Tiere Beziehungen mit Menschen eingehen, wie sie es mit ihren Artgenossen tun. Dabei wird aus „irgendeinem“ Tier ein individuelles Tier, dessen Persönlichkeit und Neigungen wir kennen und schätzen lernen, wir geben ihm einen Namen, der es unverwechselbar macht. Es wird als Mitglied einer Gruppe oder als Familienmitglied empfunden, sein Schicksal ist den Menschen nicht mehr gleichgültig. Sein Tod wird betrauert. Tiere, zu denen wir solche Beziehungen eingehen, sind nicht beliebig ersetzbar durch andere Tiere. Damit kann man die Du-Evidenz auch als einen Grundstein der Empathie sehen. Sie beruht auf Erleben und Empfinden des Gegenübers und kann daher auch einseitig sein. So kann ein Kaninchen in einem Altenheim mehrere Menschen bewegen, ohne dass diese Menschen für dieses Kaninchen von größerer Bedeutung sind. Ist die Beziehung gegenseitig, bemühen sich beide Individuen, sich zu verstehen und finden eine gemeinsame Kommunikationsebene mit auch non-verbalen Kommunikationsmitteln. Daraus ergibt sich, dass die Du-Evidenz vor allem eine Rolle spielt zwischen sozial aktiven, höheren Tieren und Menschen. Die Du-Evidenz ist eine Voraussetzung für den Einsatz von Tieren in der Pädagogik und Therapie. Für die tiergestützte Pädagogik bedeutet die Du-Evidenz, dass eine persönliche Beziehung zu den eingesetzten Tieren hergestellt wird und dadurch Identifikation, Spiegelung, Empathie etc. möglich sind.
Empathie
Empathisch ist, wer die Gefühle, Gedanken, Einstellungen und Persönlichkeitseigenschaften anderer erkennen und diese akzeptieren kann. Um empathisch sein zu können, muss man seine eigenen Gefühle verstehen, dass ist der Grundstein des Verständnisses, der dann auf andere Individuen übertragen werden kann. Die Empathie spielt gerade in der Beziehung zu Tieren eine besonders große Rolle, da wir als Halter für sie verantwortlich sind und sich die Tiere uns nicht verbal mitteilen können. Zudem haben viele Tiere wie z.B. Pferde und Kaninchen keine Laute für Schmerzen. Für die Erkennung von Handlungsbedarf muss der Halter also neben einem fundierten Fachwissen auch über sehr viel Empathie verfügen, um sich in seine Tiere hinein versetzen zu können. Dies ist ebenfalls wichtig im Setting, um ein gutes Kräftemanagement zu gewährleisten und die Tiere nicht übermäßig zu beanspruchen. Mitfühlen und Mitleiden (Compassion) mit einem anderen Lebewesen fördert die Beziehungsentwicklung und die sozial-emotionalen Kompetenzen beim Menschen.
Kinder entwickeln Empathie Tieren gegenüber besonders leicht. Sie sind fasziniert von Tieren und fühlen sich hingezogen zu ihnen. Sie möchten mit ihnen interagieren, sie berühren und Freundschaft schließen. Um dies zu erreichen, sind sie mit enormer Motivation bereit, auf die Tiere zu achten, etwas über sie zu lernen und Rücksicht auf sie zu nehmen.
Oxytocin
Das Hormon Oxytocin - das Kuschel-Hormon - bietet eine weitere Erklärung, warum sich der Kontakt zu Tieren positiv auf Menschen auswirkt. „Oxytocin wird bei Tieren und wahrscheinlich auch bei Menschen durch Berührung ausgeschüttet: So steigt das Oxytocin-Niveau eines Hundes an, wenn sein Besitzer ihn streichelt. Ebenso und vielleicht noch wichtiger steigt auch das Oxytocin des Besitzers.“ (Wohlfarth) Wird dieses Hormon ausgeschüttet, kann dies – bei Mensch und Tier - vielfältige physiologische und auch psychologische Effekte haben wie z.B. Verringerung von Stresshormonen, Herunter-setzen von Blutdruck und Herzfrequenz, vermindert Angst, vermindert Aggressivität, verbessert die soziale Kompetenz, führt zu positiver Selbstwahrnehmung und es verstärkt die Bindung zwischen Mensch und Tier. Bei unserer Arbeit in der tiergestützten Pädagogik entspannt es die Kinder und lässt sie sich wohl fühlen.
Spiegelneuronen
Hier geht es um einen neurobiologischen Beitrag, um die Mensch-Tier-Beziehung zu verstehen. „Als Spiegelneurone werden Hirnzellen bezeichnet, die während der Beobachtung oder Simulation eines Vorgangs die gleichen Aktivitätspotenziale reizen, die ausgelöst würden, wenn der Vorgang aktiv selbst gestaltet und durchgeführt würde.“ (Vernooji, M./ Schneider). Mit der Entdeckung der Spiegelneuronen 1990 durch italienische Forscher wurde ein direkter „Weg für das unmittelbare Verständnis von Absichten und Handlungen und das Erfassen von Situationen gefunden“. (Wohlfarth) Damit bilden sie die Grundlage für intuitive Imitation, Synchronisierung und evtl. auch Empathie. Daher spielen Spiegelneuronen in der Mensch-Tier-Beziehung eine große Rolle, in der es besonders wichtig ist, die Stimmung seines Gegenübers zu erfassen, sich in ihn hineinversetzen und sein Handeln danach ausrichten zu können.
Bindung
Solide Bindungen sind wichtig, denn Bindungserfahrungen, die wir als Kinder machen, wirken sich auf unseren Umgang mit unseren Emotionen, unsere sozialen Kompetenzen und auch auf unsere emotionale Intelligenz aus. „Menschen können aber nicht nur zu anderen Personen, sondern auch zu Tieren tiefgehende Beziehungen aufbauen, die vor allem hinsichtlich emotionaler und sozialer Bedürfnisse positive Auswirkungen haben.“ (Olbrich, E./ Ottertstedt)
Andersherum ist für die Arbeit mit Tieren eine gute und solide „Ver-Bindung“ zu ihnen besonders wichtig und die Grundlage dafür, dass sie uns vertrauen und sich auch in Stresssituationen an uns orientieren. So können wir mit unseren Tieren gemeinsam an einem Strang ziehen und unsere Einsatzziele verfolgen. Die Bindung zwischen Mensch und Tier kann gegenseitig sein. „Zusammengefasst gibt es eine ganze Reihe direkter und indirekter Belege, die nahelegen, dass auch Tiere eine Bindungsbeziehung zum Menschen entwickeln können.“ (Julius, H./ Beetz, A./ Kotrschal, K./ Turner, D./ Uvnäs-Moberg, K.) Die vertrauensvolle Bindung zu Tieren wirkt sich bei Menschen positiv aus, bestärkt und motiviert diese.